Die Chance des Atomabkommens nutzen
Bei der Aufhebung der Sanktionen gegen Iran muss das Thema Menschenrechte in die Waagschale geworfen werden. Das Land hat starke Anreize, darauf einzusteigen. Von Homayoun Alizadeh
12.05.2015, 05.17 Uhr
Gastkommentar

Der 2. April 2015 könnte ein wichtiges Datum der Zeitgeschichte werden, sollte das Finalabkommen zum iranischen Atomprogramm bis Ende Juni zustande kommen. Werden die vom religiösen Führer, Ali Khamenei, geführten Hardliner es zulassen, den begonnenen Deal zu einem positiven Ergebnis zu bringen, zumal die Öffnung zum Westen als eine Schwächung der Innen- und Aussenpolitik Irans, insbesondere im Nahen Osten, angesehen wird?
Aus zwei wichtigen Gründen könnten sogar die Hardliner zustimmen. Zum einen bietet das Abkommen die einmalige Chance für Iran, aus seiner 36-jährigen Isolation in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren und den Wiederanschluss an die Weltwirtschaft zu ermöglichen. Zum anderen sieht sich Iran, bedingt durch die Ereignisse in Jemen, von einer Allianz zwischen Saudiarabien, Katar, Ägypten, der Türkei, Pakistan und womöglich Israel bedroht. Diese Regionalmächte sind gegen das Atomabkommen und die Annäherung Irans an die USA. Das Abkommen würde Irans Position in der Region verstärken.
Unterdrücken, verfolgen, diskriminieren
Soll eine Einigung über das Nuklearprogramm Irans bis Ende Juni erzielt werden, sind zwei Fragen zu beantworten: Wird das Atomabkommen die moderaten Kräfte im Lande stärken oder umgekehrt die Hardliner und jene Kräfte fördern, welche eine schiitische Expansionspolitik betreiben? Wie wird sich das Abkommen auf die soziale, ökonomische, politische und Menschenrechts-Lage in Iran auswirken, und kann das Abkommen einen Beitrag zum Demokratisierungsprozess leisten?
Die Menschenrechtslage ist gekennzeichnet durch Unterdrückung und Verfolgung von politisch Andersdenkenden, Verletzung von Grundrechten wie dem Recht auf Leben oder der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Die Rechte religiöser und ethnischer Minderheiten wie etwa Angehöriger von Bahais, konvertierter Christen und sunnitischer Muslime werden negiert. Politische Gefangene haben keinen Zugang zu Anwälten. Sicherheits- und Revolutionsgarden, die eigene Gerichtsbarkeit besitzen, unterhalten Gefängnisse, in denen Folter und Misshandlungen an der Tagesordnung sind.
Im Oktober wurden Journalisten verhaftet und misshandelt, die über die Säureattacken gegen Frauen in Isfahan und Teheran berichtet hatten. 2014 wurden 753 Personen, unter ihnen 25 Frauen und 13 Minderjährige, hingerichtet (Amnesty-International-Bericht von 2014/15). Ende Dezember 2014 warteten mindestens 160 Jugendliche in Todeszellen auf ihre Hinrichtung.
In einem Sonderbericht des Uno-Generalsekretärs vom Februar dieses Jahres über die Situation der Frauen heisst es, dass zwei Drittel der iranischen Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt seien, wobei im Jahr 2011 etwa 48 500 Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren verheiratet worden seien.
Laut der EU-Repräsentantin für Aussenpolitik, Mogherini, sind die sieben Uno-Mitgliedstaaten dabei, das Finalabkommen für die Unterzeichnung Ende Juni fertigzustellen. Um Iran bei der Einhaltung der Menschenrechte in die Pflicht zu nehmen, sei der nachstehende Vierpunkteplan als integraler Bestandteil des Sanktionsaufhebungsverfahrens vorgeschlagen.
Erstens: Nach jahrelanger Wirtschaftssanktion gegen Iran benötigt das Land dringend neue Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Eine Vielzahl von Unternehmen aus dem Energiesektor, der Öl- und Autoindustrie sowie des Finanzwesens wartet darauf, einen Zugang zu dem seit Jahren versperrten Markt mit 80 Millionen Einwohnern zu bekommen. Ein Verhaltenskodex für staatliche, private und internationale Konzerne wäre vonnöten, damit bei Wirtschaftstätigkeiten in Iran das Arbeitsrecht, der Umweltschutz und die Vermeidung von Korruption berücksichtigt werden. Unternehmen, die den Verhaltenskodex verletzen, sollten mit Sanktionen belegt werden.
Zweitens: Die Uno muss verstärkt in die Implementierung des Atomabkommens eingebunden werden. Zum einen muss Iran dazu gebracht werden, dem Uno-Sonderberichterstatter Shaheed die Einreise zu erlauben, der vom Uno-Menschenrechtsrat das Mandat erhielt, über die Situation der Menschenrechte zu berichten, jedoch seit seiner Nominierung im Jahr 2010 nie einreisen durfte. Zum anderen sollte das Büro des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte in Iran präsent sein, um die Institutionen zum Schutz der Menschenrechte im Land zu stärken und die Harmonisierung der nationalen Gesetze mit den international anerkannten Menschenrechtsnormen zu fördern.
Drittens: Nach 36-jähriger Isolation wird das Atomabkommen die diplomatische Reintegration Irans in die internationale Gemeinschaft ermöglichen. Sie kann nur dann Erfolg haben, wenn Fortschritte auch bei der Verbesserung der Menschenrechtssituation erzielt werden. Die Aufstellung eines diesbezüglichen Aktionsplanes mit entsprechenden Indikatoren wäre besonders wichtig.
Kein Kniefall
Viertens: Die Einbindung der iranischen Bürgergesellschaft in die Implementierung des Atomabkommens, insbesondere in Menschenrechtsfragen, wäre unabdingbar; die Stärkung ihrer Kapazität ist von grosser Bedeutung. Projekte von zivilen Einrichtungen, etwa die Rechtsanwaltskammer, Frauenorganisationen, Journalistenvereine und Organisationen auf dem Gebiet der Menschenrechte und der humanitären Hilfe, müssen finanziell und durch politische Rückendeckung unterstützt werden. Hierbei kann das Büro des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte einen wichtigen Beitrag leisten. Ein Atomabkommen ohne Menschenrechtsstrategie wäre ein Kniefall des Westens vor Iran und eine Niederlage für die Reformkräfte und die iranische Zivilgesellschaft.
Homayoun Alizadeh, iranischer Herkunft, ist als österreichischer Beamter des Bundesministeriums für Inneres in Wien beschäftigt und war von 1995 bis 2014 als leitender Funktionär des Büros des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte in Afrika, Asien und Genf tätig.
https://www.nzz.ch/meinung/debatte/die-chance-des-atomabkommens-nutzen-ld.892514