DER WERTEWANDEL UNSERER ZEIT
EINE KURZE BESCHREIBUNG DER HEUTIGEN LEBENSLAGE
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Krieg, Zerstörung, Umweltkatastrophen, politisch motivierte Verfolgung, und Betrug berichtet wird. Die derzeitige Medienlandschaft ist vor allem geprägt von erschütternden Bildern von flüchtenden Menschen, welche wegen Krieg, innerstaatlichen Konflikten und Not ihre Heimatländer verlassen müssen, um Schutz in den europäischen Ländern zu finden. Diese sogenannte Völkerwanderung wird von der Bevölkerung verschiedentlich interpretiert. Während eine Vielzahl von Menschen die Aufnahme von Notleidenden gutheißen, empfinden andere Menschen diesen Andrang von Flüchtlingen als eine Bedrohung ihrer eigenen Existenz und der europäischen Kultur.
Im Allgemeinen ist das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber Politikern, staatlichen Einrichtungen, Massenmedien sowie Finanzinstitutionen im Sinken begriffen. Politikverdrossenheit, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit kennzeichnen die heutige Situation in den meisten EU-Mitgliedstaaten. Die hohe Arbeitslosigkeit, Finanz- und Bankenkrisen, soziale Verarmung der gesellschaftlich Benachteiligten und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich sind weitere Merkmale, welche den derzeitigen Zustand nicht nur innerhalb der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch in den Entwicklungsländern wiederspiegeln. Viele stellen sich die Fragen: Wem kann man noch Vertrauen schenken? Welchen Werten fühlen wir uns gebunden? Wie lange kann unser Wohlstand beibehalten werden? Ist Frieden auf dieser Welt noch möglich, und wie sicher wird unsere Zukunft sein?
Bevor wir auf diese Fragen eingehen und uns mit dem Zustand unserer Lebenslage beschäftigen, seien hier einige statistische Daten anzumerken: Die heutige Weltbevölkerung beträgt 7,3 Milliarden Menschen, davon haben fast 800 Millionen Menschen nicht genug zu essen (FAO 2015). Unterernährung trägt jährlich zum Tode von 2,9 Millionen Kindern unter fünf Jahren bei – mehr als 45% aller Sterbefälle von Kindern weltweit (UNICEF 2013). Hingegen gibt es über 1,6 Milliarden übergewichtige Menschen auf der Erde (22% der Weltbevölkerung). Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und heutigen USA, haben 40% der Bevölkerung überhaupt keine Krankenversicherung. Viele von ihnen können sich weder Medikamente noch Arztbesuche leisten[1]. 11% der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Im Subsahara-Afrika sind es 36% der Bevölkerung, welche keinen Zugang zu sauberem Wasser haben (Datenblatt Entwicklungspolitik, www.welthaus.de). Jedes Jahr werden ca. 3,8 Millionen Hektar Wälder zerstört bzw. gerodet (eine Fläche fast so groß wie die Schweiz). Jedes Jahr werden ca. 7,1 Millionen Tonnen von giftigen Chemikalien in die Umwelt freigesetzt. In ca. 38 Jahren werden die Erdölreserven unserer Erde erschöpft sein, zumal sich unsere Gesellschaft weiterhin zu energieaufwendiger, umweltzerstörerischer und ausgedehnter Autoabhängigkeit entwickelt (www.worldometers.info/de/).
Während insgesamt 1,75 Billionen US-Dollar für militärische Rüstung im Jahr 2013 ausgegeben wurden (Eine 26%-ige Steigerung gegenüber dem Jahr 2012), betrugen die Ausgaben für Entwicklungshilfe lediglich 135 Milliarden US-Dollar. Die Verschuldung der Entwicklungsländer beträgt 2,55 Billionen US-Dollar, während sie 1973 bei 113 und 1990 bei 1,400 Milliarden US-Dollar lag. In knapp 3 ½ Wochen gibt die Welt mehr für die Militärrüstung aus als für die Entwicklungshilfe in einem Jahr. In anderen Worten: Wenn die Welt für lediglich 8 Tage ihre Militärrüstungsausgaben stoppen würde, könnten für 12 Jahre lang jedem Kind auf der Welt eine freie und gut qualifizierte Schulausbildung gewährt werden.
Heute wissen wir, dass die Korruption einer der Hauptursachen für die Verschuldung der Entwicklungsländer ist. In manchen Fällen wurden die Kredite überhaupt nicht oder nur teilweise für die vorgesehenen Projekte verwendet. Das Geld floss direkt auf ausländische Privatkonten von hohen Regierungsbeamten[2]. Entwicklungsgelder bzw. Kredite wurden für unproduktive Prestigeprojekte verwendet, welche die Verschuldung noch mehr in die Höhe trieben.
Verheerende Stürme, zerstörte Häuser, Hitzewellen und bedrohliche Buschfeuer, stark fallende winterliche Temperaturen, Dürren, Überschwemmungen und sogar Schneestürme in der Wüste sind die Folgen der Umweltzerstörung sowie der globalen Erwärmung, welche unser Leben nachhaltig beeinträchtigen. Unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, hat dazu geführt, dass die Kohlendioxid-Emissionen außer Kontrolle geraten sind. Dem Bericht von Green Peace zufolge erreichten im Jahr 2011 die CO2-Emissionen nach den Daten der International Energy Agency (IEA) ein Rekordhoch, als 31,6 Gigatonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre gepumpt wurden, welche für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Bis zum Jahr 2020 wird eine massive Steigerung der CO2-Emissionen in Richtung 5 bis 6 Grad Celsius Erwärmung prognostiziert, was den Planeten Erde auf einen Pfad katastrophalen Klimawandels bringt (Green Peace Report 2013, www.greenpace.org/austria/de/blog-at/point-of-no-return/blog/43720/).
Heute in einer Welt der Globalisierung und der fortschreitenden Technologie, insbesondere im Kommunikations- und Produktionsbereich sollte man annehmen, dass man neue Wege gefunden hätte, um den oben angeführten Entwicklungen entgegenzuwirken und alles daran setzt, eine bessere Welt für die nächsten Generationen vorzubereiten. Dem ist leider nicht so. Ein Wertewandel hat stattgefunden: Altruismus hat fast aufgehört zu existieren. Stattdessen haben Egoismus und Eigeninteresse die Oberhand gewonnen. Geld, Profit und Gewinnmaximierung sind zum Maßstab aller Dinge geworden. Oberflächlichkeit wird gegen substanzielles Denken und Handeln ersetzt. Selbstbesinnung und Selbstreflexion sind uns Menschen fremd geworden.
Gesellschaftlich und politisch betrachtet, wird unser Leben von einer auf Konsum ausgerichteten Strategie, auf Lust-orientierten Darbietungen in den Medien und TV-Sendungen, und oberflächlich dargestellten Themendiskussionen bzw. „Talk Shows“ begleitet. Private Radio-, TV-Sender und Printmedien haben bereits ihre Informationsmonopolstellung ausgeweitet und versuchen unter anderem, eine kritische und auf Wahrheit basierende öffentliche Diskussion über wichtige Themen, welche die Bevölkerung betreffen, zu vermeiden. Korruption und Machtmissbrauch sind salonfähig geworden. Den Politikern fehlt ein Interesse an der Lösung grundsätzlicher und langfristiger sozialer Probleme. Ihnen geht es hauptsächlich um Machterhaltungstrieb als oberste Zielvorgabe. Fehlende Transparenz und kurzfristiges Denken ist zur Norm der nationalen Finanz- und Investitionsstrategien geworden. Die Finanzkonzerne und Bankenwelt bestimmen unser Leben, und die Regierungen sind kaum in der Lage, für die Bevölkerung angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Stärkung der inneren Geheimdienste und Überwachung der eigener Bevölkerung werden von den Regierungen als prioritär behandelt. Humanitäre Angelegenheiten wie etwa die Flüchtlingsproblematik werden unter sicherheitspolitischen Aspekten gehandhabt.
Wenn wir eine bessere Zukunft für die nächsten Generationen sichern wollen, muss eine Umkehr des oben beschriebenen Wertewandels erfolgen. Werte wie etwa Altruismus, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, und Bekennung zur Meinungsvielfalt, zur Toleranz sowie zur Demokratie müssen wieder Eingang in unser tägliches Leben sowie in die Agenda der Politiker finden. Vertrauensbildende Maßnahmen, Transparenz über die institutionellen Einrichtungen und Finanzstrukturen, sowie Aufklärungsarbeit über die Ursachen für die Armut und Verschuldung der Entwicklungsländer, sowie über die Flüchtlingsfrage sollten Eckpfeiler einer langfristigen Politik sein. Eine auf Menschenbedürfnisse ausgerichtete Strategie muss die gegenwärtige Politik des Profits bzw. der Gewinnmaximierung und somit der Ausbeutung der Länder der Dritten Welt ersetzen. Das Wirtschaftswachstum darf nicht auf Kosten der Umwelt und des Verlusts von Grund- und Menschenrechten und der Demokratie erreicht werden. Wir müssen akzeptieren, qualitatives, nicht aber quantitatives Wachstum zu erreichen. Das Leben kann besser werden, ganz sicher aber nicht durch die Produktion und den Kauf von mehr materiellen Gütern. Ein sparsamer Umgang mit Materialien bei der Entwicklung von verarbeiteten Gütern kann viel dazu beitragen, die negativen ökologischen Folgen unseres Handelns zu verringern.
Wir müssen lernen, uns aufeinander zu verlassen, Verantwortung, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft zu erwarten und wertzuschätzen. Zusammenarbeit funktioniert besser als Wettbewerb. Heute wissen wir, dass die besten Arbeits- und Forschungsergebnisse unter kooperativen Verhältnisse erzielt werden. Unsere Werte müssen generationsübergreifend gelten: das, was wir bauen oder herstellen, betrifft nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Nachkommen. Unsere Industrie und Städte sind aufgrund des billigten Öls aufgebaut worden, welche zur schweren Last auf den Schultern der nächsten Generationen werden könnten[3]. Wir müssen unseren Planeten so schützen, dass die nächsten Generationen die Möglichkeit haben, eine gesicherte Zukunft zu haben.
Die Entwicklungspolitik muss gänzlich geändert werden. Die reichen Industriestaaten sollten lediglich jene Projekte in den Entwicklungsländern finanzieren, welche der einheimischen Bevölkerung zugutekommen und vor allem die Bekämpfung der Korruption, des Machtmissbrauchs sowie das Vorantreiben des Demokratisierungsprozesses und die Achtung der universell anerkannten Menschenrechten zum Ziel haben. Eine derartige Vorgangsweise würde eine gerechte Verteilung von Ressourcen in den Herkunftsländern ermöglichen, welche wiederum auch dazu führen würde, dass sich die Anzahl von Migranten Richtung Europa verringert.
Heute haben 3,2 Milliarden Menschen Zugang zum Internet (fast 44% der Weltbevölkerung). Mit den bereits existierenden „social media“ ist es möglich, nicht nur Aufklärungsarbeit über Umwelt, Politik, Wirtschaft und soziale Belange zu tätigen, sondern es ist auch eine immense Chance, die Jugend sowie eine breite Masse der Bevölkerung für lebenserhaltende Belange zu motivieren bzw. sie dazu zu bringen, ihre Stimme gegen Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit sowie Umweltzerstörung zu erheben. Dies würde vor allem dazu führen, dass sich die Politiker den offenen Problemen stellen, in dem sie sich andere Werten aneignen und im Sinne des Altruismus und der langfristigen Planung handeln würden
Einer der wichtigsten Werte unseres Lebens ist die Erhaltung dieses Planeten in einer gerechten und menschenwürdigen Welt für die nächsten Generationen. Eine Welt, welche einen immanenten und lebensnotwendigen Wert hat.
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Homayoun Alizadeh,
Wien, am 5. Oktober 2015
[1] Prof. Dr. Ernest Callenbach, „Die Aushöhlung des amerikanischen Imperiums“, Manuskript, Südwestrundfunk, 16.10.2005, S.5ff.
[2] Banken profitierten sogleich doppelt, von den Zinseinnahmen und von der Möglichkeit, das gleiche Geld ein zweites Mal ausleihen zu können.
[3] Ibid