In der Sackgasse
18. Mai 2018, 18:57 Uhr
Wie geht es weiter in Iran, nachdem Donald Trump für die USA das Atomabkommen gekündigt hat? Die Lage im Land hat sich durch den Schritt dramatisch verschärft. Innen- wie außenpolitisch scheint die Islamische Republik Iran in eine politische Sackgasse geraten zu sein.
Seit Dezember 2017 gibt es Proteste in der Bevölkerung gegen die Wirtschaftsmisere, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die wachsende Einkommensungleichheit. Die iranische Währung Rial hat gegenüber dem US-Dollar an Wert verloren, die Lebensmittel werden teuer; in Isfahan hat die Wasserknappheit zu massiven Protesten geführt. Das gegenwärtige Regime ist kaum noch in der Lage, die Wirtschafts- und Alltagsprobleme des Landes zu lösen. Korruption und Machtmissbrauch haben dazu geführt, dass es auch in den Augen vieler seiner Anhänger die religiöse und gesellschaftspolitische Legitimität verloren hat.
Das von Präsident Hassan Rohani eingeleitete und 2015 zum Erfolg geführte Atomabkommen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und der Bundesrepublik Deutschland hat für das Land bis heute keine konkreten wirtschaftlichen und politischen Ergebnisse gebracht. Die iranische Bevölkerung erhoffte sich von dem Abkommen eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse und vor allem eine politische Änderung im Land. Viele Menschen erwarteten, mit dem Atomabkommen würde Iran aus der 37-jährigen Isolation in die internationale Gemeinschaft zurückkehren und wieder Anschluss an die Weltwirtschaft finden. Andere hofften, dass Teheran sich den USA annähern und so Irans Position in der Region stärken würde. Alle diese Hoffnungen erwiesen sich als große Enttäuschung: Das Atomabkommen ist gekündigt, die Sanktionen sind wieder verschärft. Die elementare Frage lautet nun: Wie weit werden die europäischen Unterzeichner des Atomabkommens in der Lage sein, europäische Firmen beim Handel mit dem Iran vor US-Sanktionen schützen?
Netanjahu wirft dem Regime vor, weiterhin an einer Atombombe zu bauen
Innenpolitisch erzeugt der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen große Verunsicherung innerhalb der iranischen Bevölkerung. Er ist eine herbe Niederlage für Präsident Rohani, der von den Hardlinern für den Atomvertrag stets heftig kritisiert wurde. Außenpolitisch steht die Islamische Republik seit ihrem fast vierzigjährigen Bestehen in einer noch nie dagewesenen Bedrängnis. Eine Front aus Saudi-Arabien, Israel und den USA hat sich gebildet, um den militärischen Aktivitäten in Syrien, Libanon und Jemen Einhalt zu gebieten – und um langfristig das Mullah-Regime zu Fall zu bringen. Die Angriffe israelischer Kampfjets gegen die Stellungen der Pasdaran in Syrien zeigen: Israel möchte verhindern, dass Iran auf lange Sicht in Syrien bleibt. Er ist auch ein Signal an die Hisbollah im Libanon, dass Irans militärische Aktivitäten in der Region auf Dauer keinen Erfolg bringen werden. Die Vorwürfe gegen Iran werden immer heftiger: Teheran gefährde mit seinem Raketenprogramm die Sicherheit in der Region – und insbesondere die Sicherheit Israels mit seinem Engagement in Syrien, der Hilfe für die Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wirft dem Regime vor, weiterhin an einer Atombombe zu bauen. Die militärische Eskalation in der Region könnte in absehbarer Zeit bevorstehen. Die Zeichen im Nahen Osten stehen auf Sturm.
Gerade erst hat Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei eine Reihe von Schlüsselpositionen innerhalb der Revolutionsgarde (Sepah Pasdaran) neu besetzt. Dies ist ein weiterer Anlass zur Besorgnis: Die neuen starken Männer der Revolutionsgarden könnten versuchen, die Regierung von Präsident Rohani zu stürzen. Sie könnten die moderaten Kräfte als Verursacher der Wirtschaftsmisere im Lande darstellen und die Hardliner als Retter aus der Not; dies könnte den Weg frei machen für eine radikalere Staatsführung. Dann hätten bei einer militärischen Eskalation im Nahen Osten die Revolutionsgardisten freie Hand, ihre Ziele mit allen Mitteln zu verfolgen.
Die Militarisierung der Islamischen Republik hätte verheerende Folgen. Die Verhärtung der politischen Kräfte und die damit verbundene Polarisierung können zur gewaltsamen Desintegration des Staates führen. Unter Umständen kann sich in Iran ein Szenario wie in Syrien wiederholen und somit die Integrität und Souveränität des Landes in große Gefahr bringen. Viele Regionalmächte, insbesondere Israel und Saudi-Arabien, hätten ein großes Interesse an einem geteilten und geschwächten Iran. Eine Destabilisierung des Landes würde jedoch den Status quo der Region aus dem Gleichgewicht bringen und somit den Weltfrieden ernsthaft gefährden.
Unter den iranischen Intellektuellen und politischen Eliten herrscht deshalb wachsende Einigkeit darüber, dass allein die Umsetzung radikaler Reformen eine Lösung für die anstehenden Probleme des Landes sein kann. Nur mit einer grundlegenden Erneuerung kann das Land aus der politischen Sackgasse herauskommen. Ein friedlicher Übergang von einer theokratischen und undemokratischen Politik hin zum echten Parlamentarismus und zur Einhaltung der Menschenrechte ist der tiefe Wunsch vieler Iraner. Einen „regime change“ wie in Syrien oder Libyen darf es in Iran nicht geben. Die Frage ist, mit welchen Mitteln man ein demokratisches Iran herbeiführen kann, ohne die Integrität und Souveränität des Landes zu gefährden. Eines steht aber fest: Iran ist innen- und außenpolitisch am Ende seiner bisherigen Politik angelangt.
Homayoun Alizadeh, 66, ist iranischer Abstammung. Er war im österreichischen Innenministerium tätig und von 1995 bis 2014 beim UN-Hochkommissar für Menschenrechte.
https://www.sueddeutsche.de/politik/gastbeitrag-in-der-sackgasse-1.3985247