Das Dilemma Irans – die Zeit arbeitet gegen das fundamentalistische Regime der Mullahs, doch zugleich ist dieses unfähig und unwillig, sich zu bewegen

Die Politik des maximalen Drucks, den US-Präsident Trump ausübte, machte es Iran leicht, Totalopposition zu betreiben. Das Atomprogramm ging weiter, in der Region wurde aggressiv Einfluss genommen. Heute steht das Land am Abgrund, not täten Alternativen.

08.03.2021, 05.30 Uhr

Der oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, im Kreise von Experten.
Der oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, im Kreise von Experten.Reuters

Mit der Rückkehr der Vernunft ins Weisse Haus ist eine Kehrtwendung in der US-Aussenpolitik im Sinne einer neuen Dialogbereitschaft gegenüber der Islamischen Republik Iran zu erkennen. Diese Kehrtwendung erfolgt in einer Zeit wachsender Spannungen, da Iran verstärkt Zentrifugen eingesetzt und bereits damit begonnen hat, kleine Mengen von Uranmetall herzustellen, das für den Bau von Atomsprengköpfen unerlässlich ist. Auch die in letzter Zeit durchgeführten Raketenangriffe auf US-Einrichtungen im Irak durch Milizen, welche die Unterstützung Teherans geniessen, haben zu erhöhten Spannungen zwischen Iran und den USA geführt. Die Kehrtwendung in der US-Aussenpolitik ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Iran seit Jahren versucht, die USA aus dem Nahen Osten zu verdrängen und im Gegenzug China und Russland dazu zu bringen, sich mehr in der Region zu engagieren.

In einer tiefen Krise

Nun stellt sich die essenzielle Frage, ob und unter welchen Bedingungen Iran bereit sein wird, mit den ursprünglichen Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens wieder zu verhandeln – zumal die USA kommende Verhandlungen mit den sicherheitspolitisch relevanten Themen des iranischen Raketenprogramms, der Gefangennahme von Geiseln und der militärischen Aktivitäten der Revolutionswächter im Irak, in Syrien, Libanon und Jemen verknüpfen will. Hinzu kommt der Umstand, dass die nächste Präsidentenwahl im Juni von den Hardlinern und konservativen Kräften bestimmt sein wird, die für eine Bestätigung des bisherigen iranischen Kurses in der Region eintreten.

Iran verfolgt eine Aussenpolitik, die den Machtanspruch des radikalschiitischen Islam mit Antiimperialismus und Führerschaft in der Dritten Welt verbindet.

Innenpolitisch betrachtet, befindet sich die Regierung in Teheran seit Jahren in einer tiefen Krise. Seit Dezember 2017 dauern die Proteste der Bevölkerung und landesweite Streiks von Arbeitern, Lehrern, Lastwagenfahrern und Angestellten privater Unternehmen gegen die Wirtschaftsmisere im Land an. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die wachsende Einkommensungleichheit, die Verteuerung der Lebensmittel, die steigende Abwertung des Rial gegenüber dem Dollar, die Corona-Pandemie und nicht zuletzt die Sanktionen, welche die breite Masse der Bevölkerung hart getroffen haben, stellen weitere sozioökonomische Herausforderungen dar, mit denen sich das Regime konfrontiert sieht und auf die es keine adäquaten Antworten hat.

Trotz der seit Jahren andauernden Wirtschaftskrise engagiert sich Iran politisch und militärisch stark in der Region. Nach Unterzeichnung des Atomabkommens von 2015 hat es grosse Vermögen, die im Ausland eingefroren waren, zurückbekommen, was jedoch nicht der iranischen Bevölkerung zugutekam. Stattdessen wurden die Gelder massiv für politische und militärische Zwecke im Irak, in Syrien, Libanon und Jemen verwendet. Seit der islamischen Revolution von 1979 verfolgt Iran eine Aussenpolitik, die den Machtanspruch des radikalschiitischen Islam mit Antiimperialismus und Führerschaft in der Dritten Welt verbindet. Iran versteht sich im Nahen Osten als führende Regionalmacht und will Stärke gegenüber dem Erzfeind Israel sowie gegenüber Saudiarabien markieren.

Kein «Weiter so»

Trotz diesem massiven Engagement Irans in der Region musste die Islamische Republik herbe Niederlagen in Syrien hinnehmen. Die israelische Luftwaffe bombardiert seit Jahren strategisch wichtige Stützpunkte der iranischen Streitkräfte und der mit ihnen verbündeten Milizen in Syrien, wodurch hohe Verluste nicht nur an Menschenleben, sondern auch an militärischen Einrichtungen entstanden. Der Umstand, dass der Brigadiergeneral Mohsen Fakhrizadeh, einer der wichtigsten Köpfe der Revolutionswächter und Chef des Nuklearprogramms, von israelischen Agenten unter Mithilfe einheimischer Helfer am 27. November 2020 durch gezielte Schüsse aus weiter Entfernung mittels einer nach Iran transportierten Spezialwaffe getötet wurde, ist ebenfalls ein schwerer Schlag für die iranische Staatsführung, zumal dieser Terrorakt vom Erzfeind Israel im Inneren des Landes ausgeführt wurde, während der tödliche Anschlag der Amerikaner auf General Kassem Soleimani ausserhalb, im Irak, verübt wurde.

Mit der Einbindung der Huthi in die zukünftigen Friedensgespräche in Jemen hofft die Administration Biden, den Einfluss der Islamischen Republik Iran in der Region zu verringern und den andauernden Krieg, der Tausende Zivilisten das Leben gekostet hat, zu beenden.

Fakt ist, dass Iran den gegenwärtigen sozioökonomischen Status quo nicht aufrechterhalten kann. Es ist daher sehr bestrebt ist, durch Verhandlungen mit den Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens seine Wirtschaftslage zu verbessern. Das Dilemma besteht jedoch darin, dass die Staatsführung in Teheran nicht gewillt sein wird, seine Pläne zur Entwicklung einer Atomwaffe langfristig aufzugeben und eine Kehrtwendung in seiner militarisierten regionalen Aussenpolitik einzuleiten. Die Islamische Republik hat seit ihrer Gründung im Jahr 1979 die schiitisch-fundamentalistische Expansionspolitik als eine aussenpolitische Doktrin betrachtet, an der nicht gerüttelt werden darf. Unter der vertrackten Situation massgeblich zu leiden hat das iranische Volk.

Homayoun Alizadeh ist gebürtiger Iraner. Er war im Innenministerium in Wien im Flüchtlingsbereich sowie für das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte in Afrika, Asien und Genf tätig.