Die Rückkehr des Iran in die Weltgemeinschaft

24.07.2015 um 18:48

Im besten Fall ist das Wiener Atomabkommen auch ein Vehikel, um den Demokratisierungsprozess im Iran voranzutreiben.

Der 14. Juli ist ein wichtiges Datum unserer Zeitgeschichte geworden und stellt zugleich einen Wendepunkt in der iranischen Geschichte dar. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Weltsicherheitsrates (USA, Großbritannien, China, Russland, Frankreich) gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland haben es in Wien geschafft, mit der Islamischen Republik Iran ein Atomabkommen zu unterzeichnen. Diese historische Unterzeichnung hat mehrere Bedeutungen.

Zuerst einmal ist die von Israel und den USA einstmals in Aussicht gestellte Option, nämlich eine Militäraktion gegen den Iran durchzuführen, um die dortigen Atomanlagen zu zerstören, vom Tisch. Die internationale Gemeinschaft wird durch diese Vereinbarung die Möglichkeit haben, den Iran davon abzuhalten, durch Urananreicherung die Herstellung einer Atombombe voranzutreiben. Dies hängt wiederum davon ab, wie die Bestimmungen dieses Abkommens umgesetzt werden.

Iran wird aus seiner 36 Jahre währenden Isolation in die Weltgemeinschaft zurückgeholt. Dieses Abkommen wird dazu führen, dass Sanktionen im Bereich der Energie, Finanzen und modernen Technologie gegen den Iran aufgehoben werden und die Islamische Republik Iran den Wiederanschluss an die Weltwirtschaft finden wird.

Viele Fragen bleiben offen

Auf geostrategischer Ebene hat das Abkommen eine wichtige Bedeutung. Die Islamische Republik Iran – bedingt durch ihr Engagement im Irak, in Syrien, im Libanon, im Gaza-Streifen und im Jemen – ist zunehmend von einer möglichen regionalen Allianz, geschlossen von Saudiarabien, Katar, Ägypten, der Türkei, Pakistan und vielleicht sogar Israel bedroht. Diese regionalen Akteure sind gegen das Atomabkommen und damit gegen eine Annäherung des Iran an die USA. Mit dem Abschluss des Abkommens wird die Position des Iran in der Region gestärkt werden.

Auf der anderen Seite bleiben mit dem Abschluss des Atomabkommens etliche Fragen offen: Wird der Wiener Atomdeal die moderaten Kräfte im Iran stärken oder umgekehrt die Hardliner und jene Kräfte fördern, die eine schiitische Expansionspolitik in den Nahen Osten betreiben wollen? Was wird geschehen, wenn der Iran entgegen der Vereinbarung an Atomprogrammen festhält?

Und: Wird das Abkommen die Regierung dazu bringen, sich den internationalen Gepflogenheiten anzupassen? Wie wird sich das Abkommen auf die soziale, ökonomische und politische Lage und vor allem auf die derzeitige Situation der Menschenrechte im Iran auswirken? Ja, kann das Abkommen gar als ein Vehikel zum Demokratisierungsprozess im Iran einen wichtigen Beitrag leisten?

Faktum ist, dass sich die iranische Bevölkerung von dem Abkommen eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse und vor allem eine politische Änderung im Lande erhofft. Die Öffnung des Iran hin zur Außenwelt ist vielfältig. Nach jahrelangen Wirtschaftssanktionen benötigt das Land dringend neue Investitionen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Eine Vielzahl von Unternehmen, die auf dem Sektor der Energie, der Öl- und Autoindustrie, sowie des Finanzwesens tätig sind, warten nur darauf, Zugang zu dem seit Jahren versperrten Markt mit rund 80 Millionen Einwohnern zu bekommen. Mit der Aufhebung von Sanktionen wird die iranische Regierung auf das Engagement ausländischer Firmen angewiesen sein und daher alles daransetzen, um weitere Unternehmen ins Land zu holen.

Wichtige Rolle der UNO

Die Vereinten Nationen werden mehr denn je in die Implementierung des Atomabkommens eingebunden werden. Dies wiederum kann unter anderem dazu führen, dass verschiedene UN-Organisationen langfristige Programme und Projekte im Bereich der Entwicklung, Agrarwirtschaft, Industrie, Telekommunikation, Gesundheit, Umwelt, Erziehung und Schulwesen im Iran durchführen werden.

Solche Programme sollten dazu dienen, nicht nur die seit Jahren verpasste Entwicklung und den technischen Fortschritt nachzuholen, sondern auch jene staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen wie etwa die Rechtsanwaltskammer, Frauenorganisationen, Journalistenvereine und Organisationen zu stärken, die unter anderem für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte von Bedeutung sind.

Die Präsenz der Vereinten Nationen sowie anderer internationalen Organisation wird auch dazu führen, dass die iranische Zivilgesellschaft in die Implementierung derartiger Programme eingebunden wird. Dabei kann das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte einen wichtigen Beitrag leisten. Die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen könnte auch dazu beitragen, den Demokratisierungsprozess im Iran voranzutreiben.

36 Jahre lang global isoliert

Nach der 36-jährigen Isolationsphase wird das Atomabkommen die diplomatische Reintegration der Islamischen Republik Iran in die internationale Gemeinschaft ermöglichen. Dies wiederum bedeutet, dass iranische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an den internationalen Geschehnissen teilhaben können und umgekehrt ausländische Politiker den Iran besuchen werden, um unter anderem die Reintegration des Landes in die Weltgemeinschaft zu manifestieren.

Das Händeschütteln mit westlichen Staatsoberhäuptern und Regierungschefs wird sicherlich nicht nur einen positiven Eindruck bei der iranischen Bevölkerung hinterlassen, sondern auch demokratischen Kräften und reformorientierten Politikern den Rücken stärken. Die diplomatische Reintegration des Iran kann aber nur dann Erfolg haben, wenn Fortschritte bei der Implementierung des Atomabkommens, vor allem aber auch eine Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran erzielt werden.

Mit der Reintegration des Iran in die Weltgemeinschaft und insbesondere mit der Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Teheran und Washington ist nicht auszuschließen, dass langfristig eine außenpolitische Kursänderung der Islamischen Republik gegenüber Israel eingeleitet werden könnte, zumal Iran als Regionalmacht eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Osloer-Abkommens spielen und somit zur Beendigung der seit über 40 Jahren ausgeübten Besatzungspolitik Israels beitragen könnte.

Fatale Folgen eines Scheiterns

Die Unterzeichnung des Abkommens ist ein historisches Faktum. Es bleibt die Hoffnung, dass der Deal auch umgesetzt wird: eine große Herausforderung sowohl für die Weltgemeinschaft als auch für die moderaten Kräfte im Iran.

Die iranische Zivilgesellschaft wartet sehnsüchtig darauf, dass ihre ökonomische und gesellschaftspolitische Lage mit dem Abkommen verbessert wird. Ein Scheitern der Umsetzung des Abkommens aber hätte fatale Folgen für die Zukunft des Iran und könnte die Sicherheit in der gesamten Region ernsthaft gefährden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Homayoun Alizadeh, 
(*1952 in Zürich) ist iranischer Abstammung. Er studierte Politik- und Rechtswissenschaften an der Universität Wien und absolvierte die Diplomatische Akademie in Wien. Von 1995 bis 2014 war er leitender Funktionär des UN-Hochkommissars für Menschenrechte in Afrika und Asien. Derzeit ist er als Beamter im Bundesministerium für Inneres im Flüchtlingssektor tätig. [ Privat ]

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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