Westsudan: Sorge um Frauen und Mädchen
UNO-BeamtInnen auf „joint verification mission“, um Sicherheitslage für Frauen zu überprüfen
Redaktion
12. August 2004, 13:31
Bild nicht mehr verfügbar.Eine sudanesische Mutter im Flüchtlingscamp Bredjin in ChadFoto: REUTERS/RADU SIGHETIWien/Khartum – Die humanitäre Situation in der sudanesischen Region Darfur ist weiterhin prekär. „Die Regenzeit hat begonnen und damit haben die UNO und andere internationale Hilfsorganisationen enorme Schwierigkeiten, lebenswichtige Güter übers Land zu den Hilfsbedürftigen zu bringen“, schildert der Österreicher Homayoun Alizadeh im Gespräch mit der APA die Lage im Krisengebiet. Alizadeh ist Leiter des Büros des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte im Sudan.
Drohende Krankheiten
Nun steige auch die Gefahr von Krankheiten wie Cholera und Typhus. Das gesamte Ausmaß der humanitären Krise sei laut Alizadeh aber noch immer unklar. Nach wie vor habe die UNO „keinen umfassenden Zugang“ zu den umkämpften Gegenden. Verschiedene Organisationen hatten in den vergangenen Tagen von über einer Million Vertriebenen und von 50.000 bis 80.000 Toten in Darfur berichtet. Alizadeh dazu: „Über die Zahl der Ermordeten gibt es keine genauen Angaben.“
500 Dörfer angegriffen
Hauptopfer des brutalen Konflikts sind die afrikanischen Stämme der Fur, Massalit und Zaghawa. Die arabischen Reiter-Milizen der Janjaweed haben in den vergangenen Monaten über 500 Dörfer angegriffen. „Alle lebenswichtigen Infrastruktureinrichtungen wie etwa die Wasserversorgungssysteme wurden total zerstört, tausende Häuser in Brand gesteckt. Über eine Million Menschen mussten ihr Hab und Gut aufgeben und in andere Gebiete fliehen“, so Alizadeh.
Vergewaltigungen dauern an
Große Sorge bereitet dem UNO-Diplomaten die Situation der weiblichen Bevölkerung: „Die Zahl der Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen ist sehr hoch. Heute noch werden Frauen und Mädchen, die die Flüchtlingslager zum Brennholz sammeln verlassen, von den Janjaweed überfallen und vergewaltigt.“
Seit einigen Tagen sind deshalb hohe UNO-BeamtInnen mit VertreterInnen der sudanesischen Regierung in Darfur unterwegs, um festzustellen, wie weit die Sicherheit der Flüchtlinge, insbesondere der Frauen gewährleistet ist. „Der Bericht dieser ‚joint verification mission‘ wird nächste Woche dem UNO-Sicherheitsrat vorgelegt“, so Alizadeh. „Es ist davon auszugehen, dass der Weltsicherheitsrat einen weiteren Beschluss über die Krise im Darfur fassen wird.“
Gründe für Konflikte
Der Konflikt im Darfur hat laut Alizadeh mehrere Gründe: In der Region leben über hundert Stämme arabischer und afrikanischer Herkunft. Während die afrikanischen Stämme sesshaft sind und sich der Landwirtschaft widmen, ziehen die arabischen Stämme je nach Jahreszeit durch das Land. Der Zugang zu Wasser und fruchtbaren Böden sorge dabei immer wieder für Zwist unter den ethnischen Gruppen. Früher wurden solche Streitigkeiten durch „traditionelle Konfliktaustragungsmechanismen“ wie Stammeskonferenzen beigelegt.
„Die Zentralregierung in Khartum hat jedoch die arabischen Nomaden mit modernen Waffen ausgerüstet, um deren Vorherrschaft im Darfur zu stärken. Die Regierung hat einen Riesen gebildet, und dieser Riese ist jetzt nicht mehr kontrollierbar.“ Oppositionelle Gruppen und Waffenschmuggel aus den benachbarten Staaten Tschad und Kongo hätten den Konflikt noch verschärft. „Diese Militarisierung hat dazu beigetragen, dass eine politische Lösung bis heute ohne Erfolg blieb und somit auf lang Sicht keine Ende der humanitären Krise zu erhoffen ist.“
Situation vergleichbar mit Ruanda?
Ob im Sudan – ähnlich wie in Ruanda, wo Alizadeh ebenfalls tätig war – ein organisierter Völkermord stattfindet? Alizadeh: „Das Amt des UN-Hochkommissars für Menschenrechte hat im vergangenen Jahr Experten nach Tschad und Darfur entsandt, um Informationen über angebliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu untersuchen. Der Bericht der Experten bestätigt, dass im Darfur Verletzungen des internationalen Völkerrechts sowie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorliegen.“
Es werde auch vorgeschlagen, MenschenrechtsbeobachterInnen in die Region Darfur zu entsenden. „Bis vor kurzem wehrte sich die sudanesische Regierung dagegen, aber auf Grund des internationalen Drucks werden in den nächsten Wochen acht Menschenrechtsbeobachter aktiv. Ohne deren genaue Untersuchung kann man derzeit nicht von einem Völkermord sprechen, zumal bisher keine Menschenrechtsorganisation die Möglichkeit hatte, vor Ort eine genaue Untersuchung über diese Frage – zum Beispiel die Öffnung von Massengräbern sowie die Anhörung von Zeugen – durchzuführen.“Alizadeh arbeitet seit drei Jahren bei der UNO-Mission in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Davor war er auf einem Verwaltungsposten in der West-Sahara und als Menschenrechtsbeobachter in Ruanda tätig. Der gebürtige Perser kam 1969 nach Wien, blieb in Österreich und engagierte sich hier für die Menschenrechte im Iran. Nach seinem Studium war er im Innenministerium als Beamter für Flüchtlingsfragen zuständig, danach wechselte er als Diplomat zur UNO. (APA)
https://www.derstandard.at/story/1744315/westsudan-sorge-um-frauen-und-maedchen